Leid und Unrecht

Kinder und Jugendliche in Behindertenhilfe und Psychiatrie der BRD und DDR 1949 bis 1990

Fangerau, Heiner; Dreier-Horning, Anke; Hess, Volker; Laudien, Karsten; Rotzoll, Maike

Forschung für die Praxis – Hochschulschriften

Im Oktober 2018 beauftragte die Stiftung Anerkennung und Hilfe eine Forschungsgruppe damit, Leid und Unrecht zu untersuchen, das Kinder in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie in West- und Ostdeutschland nach 1945 erfahren haben. Die Ergebnisse der Untersuchung auf Basis von schriftlichen Quellen und Zeitzeugenaussagen werden in diesem Band entlang von 17 Fallstudien vorgestellt.

Deutlich wird, dass adäquate Einrichtungen für Minderjährige mit psychischen Erkrankungen und/oder Behinderungen in beiden deutschen Staaten nur unzureichend vorhanden waren. Auch wurde der individuelle Förderbedarf von Kindern und Jugendlichen vernachlässigt. Ein defizitorientierter Blick auf die Minderjährigen mit geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen verhinderte zu großen Teilen der Untersuchungszeiträume in beiden deutschen Staaten eine angemessene Förderung. Die Einrichtungslandschaft in Ost und West war bis in die 1970er Jahre durch dauerhafte Unterfinanzierung, Personalmangel, Raumnot, ausbleibende Sanierungen und Überbelegungen gekennzeichnet. Während sich für die BRD insgesamt eine Verbesserung dieser Verhältnisse im Kontext von Reformbemühungen ab den 1970er Jahren nachweisen lässt, blieben diese Mängel in der DDR im Prinzip bis mindestens 1990 bestehen. Pädagogisch begründete Zwangs- und Strafmaßnahmen sowie demütigende Erfahrungen gab es in allen untersuchen Einrichtungen – wenn auch in unterschiedlichen Ausmaß. Als leidvoll erlebte oder ungerechtfertigte medizinische bzw. therapeutische Maßnahmen lassen sich vor allem in Kinder- und Jugendpsychiatrien feststellen.

Die prekären Zustände in den Einrichtungen konnten die genannten Formen von Leid und Unrecht begünstigen, wenngleich die Bedingungen, unter denen das damalige betreuende und therapeutisch arbeitende Personal tätig war, niemanden von begangenen Unrechtstaten entlastet und das Leid der Betroffenen nicht rechtfertigen kann.

Herausgeber*innen

Prof. Dr. Heiner Fangerau ist Direktor des Instituts fur Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Heinrich-Heine-Universitat Dusseldorf. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte und Ethik der Neurologie und Psychiatrie im 19. und 20. Jahrhundert, die Geschichte des biomedizinischen Modells sowie der medizinische Kinderschutz.

Dr. des. Anke Dreier-Horning ist Erziehungswissenschaftlerin, Co-Geschaftsfuhrerin des Deutschen Instituts fur Heimerziehungsforschung und Lehrbeauftragte fur Ethik und Geschichte der Sozialen Arbeit an der Ev. Hochschule Berlin. Ihre Veroffentlichungen umfassen die Themen DDR-Heimerziehung, DDR-Jugendhilfe und sowjetische Padagogik der 1920er/30er Jahre.

Prof. Dr. Volker Hess ist Direktor des Instituts fur Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charite Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte medizinischer Praktiken und Techniken im 19. und 20. Jahrhundert, die Geschichte biologischer Arzneimittel und Arzneimittelregulation sowie die Kulturgeschichte der Psychiatrie.

Prof. Dr. Karsten Laudien lehrt Ethik an der Evangelischen Hochschule Berlin und ist Leiter des Deutschen Instituts fur Heimerziehungsforschung. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Beitrage zur Ethik, Jugendhilfe und Sozialgeschichte. Vorstandsvorsitzender des DIH – Deutsches Institut fur Heimerziehungsforschung gGmbH, Vorstand im Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft.

Prof. Dr. med. Maike Rotzoll, Akademische Direktorin, ist Facharztin fur Psychiatrie und Medizinhistorikerin. Sie ist Autorin zahlreicher Forschungsarbeiten zur Medizin der Fruhen Neuzeit, zur Psychiatriegeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, zur Medizin im Nationalsozialismus und zur Geschichte der Kunst aus psychiatrischem Kontext. 1991 – 2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin im der Psychiatrischen Universitatsklinik Heidelberg, 2001 – 2005 Mitarbeiterin im DFG-Projekt zu den Opfern der nationalsozialistischen Krankenmorde, seit 2005 im Institut fur Geschichte und Ethik der Medizin.